Bauchgefühl oder Erziehungsbücher?
Im Moment kursieren viele Texte herum, die den Eltern empfehlen, Erziehungsratgeber zu lesen, Kurse zu besuchen oder Bücher über Erziehung zu lesen. Es kursieren genauso viele Texte, dass die Eltern sich doch bitte wieder auf ihr Bauchgefühl verlassen sollen. Dass all diese Bücher nur verunsichern und das Bauchgefühl, die Intuition entscheidend ist. Super, Fachleute empfehlen genau das Gegenteil. Was ist denn nun richtig?
Mein Standpunkt dazu ist folgender:
Verlasst Euch immer auf Euer Bauchgefühl, auf Eure Intuition. Wenn Ihr etwas lest, hört oder sieht, das Euch nicht zusagt, dann ist es für Euch nicht das Richtige (Punkt!)! In der Generation unserer Urgrosseltern und auch noch unserer Eltern hiess es, man solle die Kinder schon im Baby Alter schreien lassen. Es sei wichtig, die Kinder zu erziehen und das müsse man schon ab Geburt beginnen. Diese Empfehlungen kamen nach dem Krieg, als die Industrie und Wirtschaft das Wichtigste war. Alles musste wieder aufgebaut werden und die Kinder hatten zu funktionieren und sollten nicht «verhätschelt» oder «verzogen» werden. Für die meisten Mütter stimmte das nicht und es zerriss ihnen fast das Herz, ihr Kind schreien zu lassen. Viele nahmen also ihr Kind trotzdem auf den Arm und schenkten ihm Liebe und Nähe in diesen Momenten. Zum Glück für die nachfolgende Generation. Aber oft mit einem schlechten Gewissen, denn sie dachten, sie machten etwas falsch oder verstössen gegen die Vorschriften, das Ideal. Wie wir heute wissen, ist Bindung genau in dieser frühkindlichen Phase unabdingbar und wenn ein Baby weint, dann hat es etwas und braucht unsere Hilfe. Gut, dass viele Frauen damals die Erziehungsratgeber in den Wind geschlagen haben und sich auf ihre Intuition verlassen haben. Gut auch, dass die Menschheit geforscht hatte und neues Wissen dazu erlernt hat. Und genau das bringt mich zum nächsten Punkt.
Ist es nicht bereichernd, die eigene Intuition mit neuem Wissen zu erweitern? Ich finde es wichtig zu wissen, dass ein Dreijähriges Kind noch nicht in der Lage ist, sein Zimmer selbständig aufzuräumen. Dann weiss ich, dass ich das nicht von meinem Kind erwarten kann und es mit ihm gemeinsam tun sollte. Ich finde es wichtig zu wissen, dass im Trotzalter das Kind seinen Willen entdeckt und dass diese Autonomiephase nicht persönlich gegen uns gerichtet ist, sondern das Kind einfach beginnt zu lernen, mit seinem Willen umzugehen. Ich finde es gut zu wissen, dass das Hirn bei Kindern in der Pubertät im Umbau ist. Dass ihre innere Uhr anders tickt und sie dadurch am Abend später müde werden und am Morgen zu Langschläfern werden. Es gibt einiges an Wissen, das ich in meinem Alltag mit den Kindern nicht missen möchte. All das erworbene Wissen erhielt ich durch meine Ausbildung aber auch durch zahlreiche Entwicklungs- und Erziehungsbücher, Fritz- und Fränzi Hefte sowie Blogs im Internet. Und dafür bin ich sehr dankbar. Denn ich bin der Meinung, dass Wissen den Horizont erweitert und Fortschritt bringen kann. Fazit: Literatur, Kurse, Blogs etc. erweitern den persönlichen Horizont und geben neues Wissen, Ideen und Inputs. Denn sind wir Eltern alle Erziehungsexperten und können nichts mehr dazu lernen? In der Geschäftswelt bilden wir uns doch auch weiter oder holen uns Rat, wenn wir an einem Problem anstehen. Trotzdem sollten wir alles kritisch hinterfragen und dann nur das übernehmen, was gemäss unserem Bauchgefühl stimmt. So können wir authentisch mit unseren Kindern sein, unseren Werten und unserem eigenen Stil treu bleiben. Und genau diese Authentizität und Treue zu sich selber nehmen uns unsere Kinder auch ab. Alles andere ist ein Schauspiel und wird sofort durchschaut.
Ich sehe unsere Elterngeneration aber vor einer neuen Herausforderung stehen und ich bin überzeugt davon, dass genau diese Herausforderung viele verunsichert und deshalb das Bedürfnis nach Ratgebern sehr gross ist. Sicherheit ist ein Grundbedürfnis der Menschen und somit versuchen wir der Unsicherheit ein Ende zu machen. Das ist auch gut so! Woher kommt denn diese grosse Herausforderung? Die Gesellschaft, das Umfeld und die Norm sind in stetigem Wandel. Während vielen Jahren herrschte der autoritäre Erziehungsstil vor. Dieser funktionierte in der Gesellschaft wunderbar. Ob er für die seelische Entwicklung gut ist, das ist ein anderes Thema. Darauf möchte ich hier nicht eingehen. Ich sage nur, er funktionierte, damals. Kinder wurden gezüchtigt, geformt, gezogen und gezupft bis sie genau so waren, wie die Eltern es von ihnen erwartet haben. Wie? Mit viel Druck, Strafen und Belohnungen, Kritik und Tadel, Zuckerbrot und Peitsche und vielem mehr. Die Kinder wurden als unfertige Erwachsene angesehen. In den Firmen sowie auch Zuhause herrschte das Patriarchat. Der Mann hatte das Sagen, Frau und Kinder hatten zu gehorchen. Und wer nicht gehorchte, der fiel aus dem System, wurde ausgeschlossen und zum «Enfant terrible» erklärt. Das funktionierte, denn das ganze System, die ganze Gesellschaft funktionierte so.
Nun haben aber die letzten Jahrzehnte viele Veränderungen gebracht. Das Patriarchat wurde in unseren Kulturkreisen weitgehend aufgelöst, Frauen und Männer erlangten grösstenteils Gleichberechtigung oder sind noch auf dem Weg dazu und vieles wird demokratisch gehandhabt. Das sind neuere Strukturen und Formen des Zusammenlebens. Unsere Kinder haben diese Formen des Zusammenlebens also bereits in sich aufgesogen. Warum sollten sie es da still hinnehmen und akzeptieren, wenn wir mit alt bekannten Erziehungsstilen und Mustern auf sie zu gehen? Warum sollten sie uns wortlos hörig sein, wo die Mütter doch den Vätern auch nicht hörig sind? Weshalb sollten sie keine eigenen Gedanken haben, wo die Eltern so vieles hinterfragen und ihre eigene Meinung haben? Wieso sollten sie nicht wissen was sie wollen, wo die Eltern doch genau wissen was sie selbst wollen? Genau deshalb funktionieren so viele Methoden nicht mehr, die früher noch funktioniert haben. Es ist daher unsere Aufgabe, neue Wege zu finden, um wertschätzend, respektvoll, gleichwertig (nicht gleichberechtigt) und liebevoll miteinander umzugehen. Wem das aus dem Bauchgefühl heraus gelingt, toll! Das hätte ich persönlich mir auch so gewünscht. Bei mir war es aber nicht so. Ich brauchte von aussen Inputs, Ideen und neue Methoden, wie diese neuen Wege aussehen könnten. Und ich habe sie nach einigem Suchen gefunden. Ich bin überzeugt, dass viele Eltern genau um diese Inputs und Ideen froh und dankbar sind. Und deshalb schiessen die Erziehungsratgeber und Blogs wie Pilze aus dem Boden. Das ist auch gut so. Wichtig ist aber, dass Ihr herausfindet, welche davon Eurem Stil entsprechen. Welche genau die Gesinnung haben, die zu Euch passt und die nicht an Euren Wertvorstellungen rumschrauben oder anklagen. Dass Ihr auch diese immer kritisch hinterfragt. Es gibt in der Erziehung kein Richtig und Falsch. Es gibt nur Überzeugungen und Ansichten. Es gibt aber so viele schöne Methoden, Anregungen und Tipps, die Euch den Alltag erleichtern und die vor allem auch die Beziehung innerhalb Eurer Familie stärken!
Also, wer auf der Suche oder auch auf dem Weg ist zu neuen Formen des Familienzusammenlebens, wer Lust hat auf Inputs, wer das alles kritisch hinterfragt und seinen eigenen Stil daraus macht, wer seinem Wertesystem treu bleiben möchte oder wer sich selber und seine Familie besser kennenlernen und verstehen möchte, der ist unter anderem bei elternkind.ch genau richtig. Hier geht es nicht um neue In Doktrinen, es geht darum herauszufinden, wer Du bist. Was Dir wichtig ist, wo Du anstehst oder immer wieder in die gleichen Muster tappst. Gemeinsam finden wir neue Wege heraus. Einfache und simple Ideen helfen oft aus eingefahrenen Mustern heraus. Erziehungsberatung heisst nicht, dass Du es nicht im Griff hast. Erziehungskurse oder Beratung heisst, dass Du Dich hinterfragst, Dich und Deine Familie ernst nimmst, dass Du Lust hast auf Neues und Wissenswertes dazulernen möchtest. Es ist nicht Schwäche, sondern Stärke, wenn man sich nicht im Kreis dreht, sondern wenn man sich vorwärtsbewegt.
Ich wünsche Dir/Euch eine Erziehung und Beziehung mit viel Intuition, Wissen und Anregungen wo nötig.
Herzlichst,
Céline
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