Buchrezension – So viel Freude, so viel Wut – Gefühlsstarke Kinder

So viel Freude, so viel Wut

„Gefühlsstarke Kinder verstehen und begleiten“. So heissen die Titel des neusten Buches von Nora Imlau (erschienen am 29.5.2018 beim Kösel Verlag). Ein Buch, das mich schon lange vor der Veröffentlichung interessierte. Mein Themenabend „Wut braucht Mut“ läuft in der Regel sehr gut, was aufzeigt, dass heftige Gefühle zurzeit ein Thema ist, das uns Eltern beschäftigt. Das erstaunt mich keineswegs. Sind wir doch vielleicht die erste Generation, die solche Gefühle nicht als Negativ bewertet und ihren Kindern einen gesunden Zugang zu seiner Gefühlswelt gewähren möchte. Und doch sind auch für uns Eltern oftmals genau diese so heftigen und intensiven Gefühle so herausfordernd. Kein Wunder, denn wer von uns Eltern hat gelernt, wirklich sinnvoll mit den eigenen heftigen Gefühlen umzugehen? Und nun kommen diese intensiven Kinder und halten uns den Spiegel vor. In der Freude, Erfüllung, Genuss, Entspannung, sowie auch in der Wut, Trauer, Scham, Schuld und vielem mehr. Das sind jedoch meine Gedanken. Doch genau solche, auch gesellschaftliche Gedanken greift Nora Imlau in ihrem Buch auf. Das gefällt mir sehr gut.

Gesellschaft & Philosophie

Sie thematisiert, ob es immer mehr gefühlsstarke Kinder gibt. Wie die Gesellschaft früher mit gefühlsstarken Kindern umgegangen ist. Wie wir gefühlsstarke Kinder heute begleiten können. Wieso genau diese „neue“ Form der Begleitung manchmal für die Generation der Grosseltern besonders herausfordernd oder schmerzhaft ist. Was ihr dabei besonders gut gelingt, sie beleuchtet verschiedene Perspektiven, Sichtweisen und sie „steht in so viele verschiedene Schuhe“. Stets mit einer wertschätzenden, respektvollen und wohlwollenden Haltung für ALLE Seiten. Deshalb schafft sie mit diesem Buch ein Werk der Verbundenheit. Ein Werk der Inklusion und der Gleichwertigkeit. Diese gleichwertige Haltung ist wirklich in jeder Zeile spürbar. Hier ein kleiner Auszug:

„Wir müssen das alles nicht verstehen. Wir müssen es nur akzeptieren. Wir haben unsere Art, die Welt zu sehen, und unser Kind hat seine. Keine ist besser oder schlechter als die andere, keine ist richtig oder falsch. Es geht nicht darum, wer recht hat. Es geht darum, wie wir miteinander umgehen.“ (Seite 98)

Sachinformationen

Ebenfalls ist das Buch gespickt mit Sachinformationen. So beschreibt sie,

  • was im Hirn von Kindern vorgeht wenn intensive Gefühle auftreten.
  • was bei uns Eltern geschieht, wenn bei uns intensive Gefühle auftreten. Was es mit sogenannten „Triggern“ (Auslösern) auf sich hat.
  • was die Unterschiede sind von extrovertiert und introvertiert.
  • was natürliche Autoritäten sind und dass sich das ganz und gar von der Autoritären Erziehungshaltung unterscheidet.
  • und vieles mehr.

Viel Praktisches, Ideen & Lösungsvorschläge

Das Buch beinhaltet sehr viel Praktisches, Alltagstaugliches, Ideen und Lösungsvorschläge. So greift die Autorin z.B. auf,

  • Was Stressoren für gefühlsstarke Kinder sein können und wie sie vermindert werden können oder der Umgang damit gelernt.
  • Wie wir die Selbstregulation dieser Kinder stärken und trainieren können.
  • Wieso Strukturen und Rituale helfen können und wie wir solche gestalten können.
  • Umgang mit Gewalt.
  • Eingewöhnungshilfen für Krippen oder Kindergärten von gefühlsstarken Kindern.
  • Herausforderungen, Hilfestellungen und Beachtenswertes für Schulkinder.
  • und vieles mehr.

Gefühlsstark, Spirited Child, Hochsensibel, ADHS

Was Ihr in diesem Buch NICHT bekommt, das ist mehr Klarheit über all diese oben genannten Begriffe und „Zuteilungen“. All diese Begriffe kommen in dem Buch vor und sie sagt auch über jeden Begriff etwas. Doch Nora Imlau erklärt nirgends, was was ist. Suchst Du also ein klares Aufklärungsbuch und eine Hilfe, Dein Kind irgendwo „zuteilen“ zu können, dann ist dieses Buch nicht hilfreich. Somit ist auch nie wirklich klar, spricht sie jetzt über die hochsensiblen Kinder, über die Kinder, welche ADS oder ADHS haben oder über das so genannte „spirited child“ (erstmals in ihrem Buch gehört). Und wisst Ihr was? Genau dieser Aspekt störte mich ganz am Anfang. Ich dachte mir:

„ja was Du hier beschreibst, liebe Nora, das sind die hochsensiblen Kinder. Wieso kannst Du es dann nicht als solche benennen und schaffst einen neuen Begriff? Ist ja alles wieder total verwirrend…“

Doch ich las weiter. Und beim Weiterlesen stellte ich irgendwann fest, dass ich wohl genau das besonders toll finde an diesem Buch. Denn ja, ich selbst gehöre in die Sparte der „Hochsensiblen“. Ich habe auch ein Kind, welches in diese Sparte gehört. Und nein, ich habe uns NIE wirklich abklären lassen. Ich weiss es einfach. Ich spüre es jeden Tag, ich beobachte es, ich sehe es und ich erfahre es am ganzen Körper mit allen Sinnen. Da ist dieses Kind, das ab und zu einen Wutanfall in der Autonomiephase (Trotzalter) bekommt. Dieser dauert vielleicht 5-10Min. Und da ist dieses andere Kind, das mindestens einmal täglich einen Wutanfall in der selben Entwicklungsphase bekommt. Und sein Wutausbruch dauert locker eine komplette Stunde (nicht gefühlt, wir sprechen hier von real time). Und eben – mindestens einmal pro Tag. Gut möglich, dass so ein Vorfall auch 2-3 Mal pro Tag vorkommt. Und wir sprechen hier nicht nur von Wutanfällen, sondern von der gesamten Gefühlspalette. Solche Kinder sind für uns ein riesiges Geschenk. Sie sind auch eine manchmal unbeschreibliche Herausforderung. Umso wichtiger ist es, dass wir uns selbst als Eltern ernst nehmen und uns verstanden fühlen. Dass wir uns nicht vergleichen. Dass wir respektieren, was wir an „Gefühlsregulation“ und vielem mehr tagtäglich leisten.

Ja, doch der Begriff „Hochsensibel“ war mir lange fremd. Ich wollte mich lange mit diesem Feld auch nicht verbinden und auch jetzt noch möchte ich meinem Kind nicht sagen, dass es vielleicht Hochsensibel ist. Wieso auch? Ändert dieser Begriff irgend etwas für seine Lebensweise? Obwohl die „Hochsensibiliät“ keinem Krankheitsbild entspricht, sondern unglaublich viele Ressourcen in sich trägt, ist es für mich doch oft „Negativ“ behaftet. Zu oft wird im Volksmund „sensibel“ als etwas schlechtes bewertet, all die Qualitäten dessen untergraben. Zu oft wird der Begriff „Hochsensibel“ fast schon wieder Inflationär von Eltern benutzt um jedes Verhalten von sich oder ihren Kindern zu entschuldigen. Um ja nichts ändern zu müssen und sich selbst zu bewegen und einfach alles unter diesem Deckmantel des Begriffes zu besiegeln. Und all dies mag ich nicht.

„Gefühlsstarke Kinder“ ist also ein neuer Begriff. Er ist noch frei von negativen Bildern und Gedanken, er ist jetzt noch völlig neutral. Und genau das gefällt mir. Denn so, wie Nora in ihrem Buch den Begriff aufrollt, so möchte ich mich UMGEHEND mit diesem Feld verbinden. Ich kann klar und deutlich sagen: „JA, ich bin eine gefühlsstarke Frau, eine gefühlsstarke Mutter und in mir habe ich ein gefühlsstarkes Kind! Ich bin gefühlsstark mit jeder Faser meines SEINS. Und ja, ich habe auch mindestens Ein gefühlsstarkes Kind.“ Denn was sie schafft – sie beschreibt die unzähligen Herausforderungen, die dieser Wesenszug mit sich bringt. Sie beschreibt jedoch auch all die vielen Ressourcen und Qualitäten, die damit einher gehen. Und das eben Alles sachlich und doch gefühlvoll und wohlwollend. So kommen z.B. auch immer wieder kurze Biographien vor über Berühmtheiten, welche eine gefühlsstarke Kindheit durchlebt hatten.

„Lange empfand ich meine starken Gefühle als Schwäche, weil sie so vielen Menschen unangenehm waren – nicht zuletzt mir selbst“, erklärt sie in einem der vielen Videos auf YouTube-Kanal. „Und ja: Es ist anstrengend, permanent so viele so grosse Gefühle zu haben. Aber heute empfinde ich mein starkes Gefühlsleben als meine persönliche Superkraft.“ (S. 134, Mayim Bialik)

Ist doch einfach super ermutigend, solche bereichernden Auszüge von anderen gefühlsstarken Menschen zu lesen! Superkraft – jawohl, diese Superkraft besitze ich auch. Und wow, ich konnte sie sogar zu meinem Beruf machen. Denn genau diese Gefühlsstärke erlaubt es mir, andere Menschen auf ihrem Gefühlsstarken Weg zu begleiten. So dass auch sie immer mehr entdecken, dass sie hier eine unglaubliche Ressource in sich tragen. Und dass auch ihre gefühlsstarken Kinder einen reichen Schatz in sich tragen. Wenn wir uns nur verstanden fühlen und das notwendige Wissen haben, wie wir das Kind und uns selbst unterstützen, diesen persönlichen Schatz zum leuchten zu bringen. Unsere Authentizität wieder zu finden und den Selbstwert auf allen Ebenen zu stärken.

Fazit

Ich bin begeistert. Obwohl für mich persönlich kaum etwas Neues in diesem Buch zu finden war (da ich mich wohl nicht minder mit diesem Thema auseinander gesetzt habe als die Autorin), werde ich es von Herzen weiter empfehlen. Ich empfehle es ALLEN Eltern und Fachpersonen, die die Gefühlsstärke von sich selbst oder ihrem Kind spüren. Ich finde, Nora ist damit ein Meisterwerk gelungen. Und ich wünsche mir von Herzen, dass die Bezeichnung „Gefühlsstarke Kinder“ so weiter getragen wird, wie sie in diesem Buch beschrieben ist. Dass sie nicht als Entschuldigung benutzt wird, um in der Passivität zu verharren oder gar Dogmas daraus gemacht werden. Nein, ich wünsche mir, dass diese wohlwollende, einfühlsame, respektvolle, ehrliche und gleichwertige Grundhaltung mit dem Begriff „Gefühlsstark“ verbunden bleibt und genau so weiter getragen wird.

Herzliche & Gefühlsstarke Grüsse

Céline

Ps: Danke Nora & Kösel Verlag für die Möglichkeit, eine Rezension zu schreiben. Das erfüllt mich mit Dankbarkeit und Freude!

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