Ein herausfordernder Tag…

Unser Tag hier in Toronto begann herrlich. Wir haben gefrühstückt, etwas gemalt, angezogen, waren mit dem Bus einkaufen und alles lief wie im Bilderbuch. Die Kinder waren voll bei der Sache, haben beim Einkaufen tatkräftig mitgeholfen und wir hatten eine herrliche Stimmung. So genossen wir gemeinsam nach dem Einkaufen noch einen Chai-Latte im Starbucks und Zuhause ging es genauso friedlich weiter bis nach dem Mittagessen.

Und dann, plopp, als hätte jemand gehext, kippte die Stimmung. Meine grosse Tochter (5.5 Jahre) hatte auf einmal irgend ein „Gnosch im Bauch“ (ein herrlicher Begriff von meiner ehemaligen Ausbildnerin Andrea Pini Weber am www.aai-ip-erziehung.ch), aus dem Nichts heraus. Zum Glück konnte ich sie noch abfangen, bevor sie mit ihrer kleineren Schwester oder mit mir auf Konfrontationskurs ging, um ihren Frust abzuladen. Ich konnte sie spielerisch festhalten und dann kuscheln, was sie beruhigte und ihr verhalf, wieder in ihre Mitte zu finden. Puh, Krise überstanden. Dachte ich…

Und dann ging es erst richtig los. Meine kleine Tochter (3.5 Jahre), fiel durch irgend etwas aus dem Gleichgewicht. Sie begann zu „zeukeln“ wen und was sie konnte. Bei ihrer grossen Schwester hatte sie irgendwann Erfolg: Als sie ihr die Türe vom Badezimmer zuhielt, musste diese sich irgendwie zur Wehr setzen (alle Bitten reichten nicht aus) und sie stiess ihre kleine Schwester zur Seite. Nun war das Drama perfekt. Es gab für meine Kleine eine satte Krise, sie schrie und tobte ganze 30 Minuten wie am Spiess. Ich konnte sie nicht begleiten, ich konnte nur abwarten, ruhig durchatmen und Tee trinken. Dann war sie endlich zum Kuscheln bereit und die Krise ging vorüber.

Wir konnten nun unseren geplanten Ausflug zum Spielplatz starten und wir genossen dort ein paar herrliche Minuten mit Schaukeln und Rollenspiel. Bis sie plötzlich im Rollenspiel, aus heiterem Himmel, den nächsten Schreianfall bekam (erneute 20ig Minuten). Es war dann ganze 15 Minuten gut und meine beiden Mädels spielten und lachten fröhlich auf der Rutschbahn. Dann musste die Kleine auf die Toilette (auf dem Spielplatz hier gibt es keine). Ich hatte ihr Zuhause gesagt, dass wir nach Hause gehen, falls sie auf die Toilette muss, da ich nicht möchte, dass sie in einen Busch pinkelt (sie hat nämlich Zuhause meistens keine Lust, vor dem Fortgehen auf die Toilette zu gehen). Also machten wir uns auf den Rückweg. Und so ging es dann für den restlichen Nachmittag weiter, es folgten noch einige weitere Krisen. Um kurz vor 20 Uhr konnte ich sie endlich in den Ruhe bringenden Schlaf begleiten. Die Grosse liess ich extra noch auf, sie durfte danach noch eine Zeit lang Bibi Blocksberg hören und mit mir malen. Sie hatte am Nachmittag so viel zurück stecken müssen, dass es mir wichtig war, auch ihren Mami-Liebes-Speicher noch etwas aufzufüllen vor der Nacht.

Warum meine Kleine heute so neben sich stand? Ich weiss es nicht. Es könnte sein, dass sie verunsichert ist, weil in 3 Nächten unser 12 wöchiges Kanada-Abenteuer vorbei geht und wir zurück in die Schweiz fliegen. Solche Veränderungen können uns ja schon ganz arg aus dem Gleichgewicht bringen. Es könnte sein, dass sie einfach wetterfühlig war. Es könnte sein, dass sie ihren Papi vermisst hatte, der seit 2 Tagen weg ist. Es könnte sein, dass sie einen Schub in der Autonomiephase hatte. Und genau so ist das. Oft wissen wir die Gründe nicht, warum jemand um uns herum neben sich steht oder ein „Gnosch im Bauch“ hat. Wir müssen es ja auch nicht immer wissen, schliesslich sind wir keine „Menschen-Allesfühler“ oder Hellseher.

Was können wir in solchen Situationen oder Tagen tun?

  • Wir können versuchen ruhig zu bleiben und in unserer Mitte zu bleiben.
  • Es auf KEINEN Fall persönlich nehmen.
  • Unserem Kind das Angebot machen, dass wir für es da sind. Aber auch akzeptieren, wenn es jetzt einfach mal Toben und Schreien muss und es uns dabei von sich stösst.
  • So viel Körperkontakt und Kuscheleinheiten wie möglich schenken.
  • Einmal mehr als sonst sagen, dass wir es gern haben und lieben.
  • Die zu erledigenden Aufgaben links liegen lassen und dem gerade anstrengenden Kind viel Extrazeit widmen durch Bücher anschauen, Puzzeln, Malen, zusammen raufen, tanzen, schmusen, lachen, zusammen kochen – egal was, halt das, was man gemeinsam gerne macht.
  • Wenn wir merken, dass wir langsam selbst aus unserer Mitte fallen (dann beginnen wir selbst zu schreien, wir wollen das Kind ruhig- oder abstellen, wir lassen uns auf einen Machtkampf ein, etc.) – dann können wir uns entfernen und schauen, dass wir bei uns bleiben oder wieder zu uns kommen. Durch bewusstes Atmen, eine Runde um den Block laufen, schreiben, telefonieren, meditieren, egal was, das ist individuell. Aber wichtig ist, dass wir kurz innehalten, in uns spüren und dann innerlich ein Stopp zu uns sagen.
  • Wir können uns gemeinsam mit dem Kind am Abend im Bett beim lieben Gott oder auch einfach so für etwas Schönes heute bedanken. Das richtet die Gedanken von uns allen auf das, was heute schön war. Denn ich bin mir sicher, auch an den schrecklichsten Tagen gibt es etwas Schönes, für das wir Dankbar sein können. In all dem Elend unseres Nachmittages heute hat mir z.B. meine Kleine nach einem Anfall gesagt „Mami, ich ha Dich sooo fest lieb!“
  • Wir können die Geschwister um Verständnis bitten. Und darum, dass sie uns jetzt mithelfen, das Geschwister gut aufzufangen, weil es uns jetzt gerade besonders braucht. Wir sind ein Team und wir helfen einander, wenn jemand in Not ist.
  • Wir können uns am Abend bei den Geschwistern bedanken, dass sie heute so hilfreich, geduldig, rücksichts- oder verständnisvoll waren etc. Auch sie brauchen jetzt unsere Anerkennung, Liebe und Wertschätzung!

Wenn wir selbst mal neben uns stehen, was brauchen wir dann von unseren geliebten Mitmenschen am meisten?

  • Mitgefühl, aber kein Mitleid (wir können unser Päckchen schon selbst tragen und brauchen nicht auch noch den anderen Menschen in seinem Leid aufzufangen..)
  • Das Gefühl, dass wir geliebt werden, auch wenn wir uns jetzt gerade nicht OK verhalten.
  • Geduld und Verständnis
  • Viel Zärtlichkeit, Nähe und Liebe
  • Oder Abstand, Zeit und Ruhe für uns selbst
  • Und genau das, sollten wir an solchen Tagen auch unseren Kindern geben! Noch eine Portion extra, denn sie sind noch nicht so erfahren und geübt wie wir.

Ich muss sagen, das ist mir heute meisterlich gelungen, ich bin echt stolz auf mich. Ich trinke jetzt in Ruhe ein Glas Wasser und schreibe diesen Blogartikel und klopfe mir selber auf beide Schultern. Jawohl, ohne Wenn und Aber!

Und wenn uns das mal nicht gelingt? Und wir unser Kind nicht optimal oder gar nicht begleiten konnten? Wenn wir im Kopf zu voll waren mit all den tausend Dingen, die wir jetzt noch zu erledigen haben? Wenn wir selbst mit dem falschen Fuss aufgestanden sind und uns an so einem Tag alles aus dem Ruder läuft? Wenn wir Sorgen haben und uns nicht richtig auf unsere Kinder einlassen können? Ja, auch diese Tage kenne ich sehr gut. Und ich finde, auch dann dürfen wir uns am Abend auf die Schulter klopfen. Wir haben unser Bestmögliches getan und das ist gut so. Wir üben und trainieren und manchmal gelingt es uns und manchmal nicht. Der Weg ist das Ziel. Und er muss gegangen werden.

Warum ich Euch das alles schreibe? Weil ich damit sagen will, dass ein Tag als Eltern manchmal soooo herausfordernd und ermüdend sein kann. Und wir sind nicht alleine. Es geht allen so. Ab und zu, hin und wieder. Manchen öfters, manchen weniger. Aber solche Tage kennen wir Eltern ALLE.

Sind wir Eltern an solchen Tagen auch lieb und nett mit uns selbst? Geduldig und verständnisvoll? Lieben wir uns bedingungslos? Ich wünsche es allen Eltern, denn hier beginnt die Reise eines jeden Erziehenden, der wachsen möchte. Mit dem liebenden Elternteil in sich selbst. Je mehr wir diesen liebenden Elternteil in uns finden, umso besser sind wir in der Lage, unsere Kinder auch an solchen Tagen bedingungslos zu lieben.

Ich grüsse Euch müde aber zufrieden und herzlich,

Céline

Ps: Meine Töchter mögen mir verzeihen, dass ich heute so viel von ihnen preis gegeben habe.

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