Erziehung, Beziehung – Begriff-Salat

Was für ein Begriffsalat herrscht da draussen im Internet, in Foren, in Facebook und Co.! Ganz ehrlich, ich bin ziemlich genervt darüber und das schon länger. Jetzt möchte ich mich nicht mehr länger zurück halten und meine Meinung dazu sagen.

Bekannte Namen wettern über das Wort Erziehung.

Ich empfinde es so als wäre es im Trend, über das Wort Erziehung zu schimpfen. Es wird verbunden mit „an was ziehen wir“ – „eine Pflanze, an der man zieht, wächst nicht schneller“ etc.! Dafür kommen Begriffe wie Beziehung oder Führung ins Spiel. Für mich ist das alles „an den Haaren herbei gezogen“ oder „Haarspalterei“ und ich finde es total doof, dass wir über solche Begrifflichkeiten werten und bewerten müssen. Ja, in der autoritären Erziehung wird am Kind gezogen, es wird in die gewünschte Form gepresst. Dass dies zwar sehr angepasste Kinder gibt, jedoch zum Preis, dass sie ihre Individualität nicht ausleben können und der Selbstwert ebenfalls darunter leidet, sowie noch Anderes, darüber bin ich mit all diesen Leuten einig. Wir sprechen hier aber lediglich von wenigen Erziehungsstilen, in denen das Wort Erziehung diese Bedeutung hat. In der Laissez-faire Erziehung wird ebenfalls nicht gezogen oder in Form gepresst. Nein, null und nichts sogar, denn hier erhält das Kind die komplette Freiheit, es darf tun und lassen, was es will, alles ist erlaubt. Hier stimmt diese Beschreibung mit Erziehung bedeutet, „am Kind wird gezogen“ also gar nicht. Und in X anderen Erziehungsstilen wird ebenfalls nicht am Kind gezogen. So, warum also alles über einen Kamm scheren und an einem Begriff herum mäkeln, der einfach den Job von uns Eltern und „Erziehern“ beschreibt? Ihr lieben bekannten Namen und Gesichter – mir gefallen viele Eurer Haltungen, aber diese Begriffsvernichtung stört mich sehr, ich finde sogar, sie verunsichert Eltern zutiefst.

Für mich ist Erziehung die Beschreibung von meinem Job als Mutter.

Jawohl, von meinem Job. Es ist für mich nämlich nicht einfach nur Beziehung, was ich mit meinen Kindern lebe obwohl diese natürlich den wichtigsten Teil darstellt. Gerne dürft Ihr Vergleiche bringen, dass wir mit unseren Partnern oder guten Freunden nicht so sprechen und umgehen würden, wie wir das mit unseren Kindern tun. Das sehe ich auch so. ABER, meine Freunde und mein Partner (Erwachsene) sprechen auch anders mit mir und pflegen einen anderen Umgang mit mir, als es meine Kinder tun. Sie denken und verstehen anders. Ich sage nicht richtig und falsch, ich sage Anders. Ich bin für meinen Partner (Gott sei Dank) nicht verantwortlich, ich muss nicht den Kopf hin halten, wenn er anderen einen Schaden zufügt oder einen Mist baut. Für meine Kinder bin ich aber verantwortlich, ich halte den Kopf hin. Ich trage die Verantwortung, sie zu versorgen mit Liebe, Bindung, Respekt, Gleichwertigkeit, Essen, Finanzen, Schlaf und vielem mehr. Ich kümmere mich um den Haushalt, begleite sie in allen Lebenslagen und überlege mit ihnen und für sie. Excüsi, aber ich muss einfach mal sagen, dass das der herausforderndste Job ist, den ich je in meinem Leben ausgeführt habe. Noch nie hat mich ein Job teilweise so an meine Grenzen gebracht, so viel von mir gefordert. Nicht geistig, aber seelisch. Und, ich kann oder möchte diesen Job nie künden, denn ich liebe meine Kinder über alles. Ich kann oder will mich von meinen Kindern auch nicht einfach scheiden lassen, mich aus der Verantwortung nehmen. Und all das ist für mich nicht einfach Beziehung, denn jede Beziehung kann ich verlassen, scheiden, kündigen. Nein, das ist für mich Erziehung. Jawohl, Erziehung! Und, ich bin stolz darauf, dass ich meine Kinder erziehe! Ich kann mich allerdings schwer dran erinnern, wann ich an ihnen gezogen habe. Das gab es bestimmt auch schon, manchmal lauert mir diese Gefahr, wenn unsere Bedürfnisse ganz heftig auf einander prallen. Sicher habe ich auch schon meine Macht missbraucht, nämlich dann, wenn ich selbst in meine Not gekommen bin. Das passiert halt mal, viel wichtiger finde ich es, dass wir dann diese Not und Bedürfnisse anschauen und wir an uns arbeiten. Ob Pädagoge oder Eltern, wir alle sind Menschen und wir tragen unseren eigenen Rucksack, der uns manchmal in der „Erziehung“ oder „Beziehung“ in die Quere kommt. Dazu kommt noch, dass ich mich für jede Beziehung bewusst entscheide. Kinder habe ich mir zwar gewünscht, ich konnte sie aber nicht vorher kennenlernen. Vielleicht hätten die einen oder anderen Eltern nochmals überlegt, ob sie dieses Wagnis eingehen wollen, wenn sie gewusst hätten, welche neue Beziehung ihnen hier geschenkt wird. Vielleicht hätten sie den Mut nicht gehabt, diese Herausforderung anzunehmen. Nicht, weil das Kind falsch oder nicht gut ist. Nein, einfach weil dieses Kind so ganz anders ist als alle anderen Menschen, mit denen wir gerne und freiwillig unsere Zeit verbringen. Und dann gibt es kein OHNE mehr, es gibt nur ein ganzes Leben MIT. Es gilt, eine Beziehung aufzubauen und zu halten, in guten, wie in schlechten Zeiten. Eine grosse Aufgabe und all den betroffenen Eltern gilt meine grösste Hochachtung und mein Respekt für diese Lebensaufgabe. Aber ich schweife vom Thema ab.

Sollen wir statt dem Wort Erziehung besser vom Wort Führung sprechen?

Mal ehrlich: Hitler wurde „der Führer“ genannt. Wir können uns also auch über das Wort „Führung“ gerne unterhalten und ob dieses mehr Sinn macht, als das Wort Erziehung.

Für mich gilt, dass das alles nur zu einem Begriff-Salat führt und verunsichert.

Dass es nicht darum geht, Worte zu bewerten oder anders zu benennen. Eltern zu bewerten, Stile oder Wertvorstellungen zu bewerten. Zum Glück hat jedes Familiensystem eigene Wertvorstellungen, denn das schenkt dieser Welt Vielfalt. Ob eine Mutter stillt oder nicht, ist ganz alleine ihre Entscheidung. Ob eine Familie ein Familienbett praktiziert oder nicht, ist ganz alleine deren Entscheidung. Ob sie viel in der freien Natur sind oder lieber Zuhause basteln, das soll doch bitte jeder selbst wissen. Ob sie mit dem Schulsystem soweit einverstanden sind oder ob sie lieber Freilerner sind, das ist ihre eigene Entscheidung. Ob sie an Gott oder Allah oder ans Universum oder sonst was glauben, ist doch einerlei. Das finde ich alles total irrelevant. Im Gegenteil, wenn wir von GLEICHWERTIGKEIT sprechen (Begriff von Alfred Adler), dann hat genau all das Platz. Entscheidend ist einzig und allein unsere Haltung zu den Familienmitgliedern und Mitmenschen. Und diese gleichwertige Haltung habe ich in der demokratischen Erziehung gefunden, welche auf der Individualpsychologie nach Alfred Adler basiert. Andere finden genau die gleiche Haltung bei Jesper Juul, in der spirituellen Szene, im Buddhismus, etc.! Die Quelle spielt hier auch keine Rolle, wichtig ist, die Essenz.

Deshalb ärgere ich mich darüber, wenn neue Doktrinen und Sätze aufgestellt werden wie „alle sollten ein Familienbett führen“ oder „jede Mutter sollte zwingend ihre Kinder stillen“ oder „Erziehung ist schlecht“ oder „Grenzen setzen darf man nicht“. Das sind alles nur Begriffsdefinitionen oder Eingriffe in andere Wertesysteme und wer entscheidet bitte schön, was Richtig und was Falsch ist? All das ist für mich weder respektvoll noch gleichwertig. Ich wünsche mir, dass es ganz viele bunte Töne gibt, dass unzählige Farben in Familiensystemen sein dürfen, dass jede Familie für sich ihren authentischen Weg geht. Denn wenn es viele Farben auf der Welt gibt, dann können so schöne Dinge wie ein Regenbogen entstehen, dann ist unsere Welt bunt. Ich möchte nicht nur Grautöne in dieser Welt, ich liebe es, wenn sie bunt und farbenfroh ist.

Ich bin mir bewusst, dieser Text wird nur eine Handvoll Leute lesen, wenn überhaupt. Aber genau Euch soll er Mut machen, Euch von Begrifflichkeiten zu lösen und auf keinen Fall verunsichern zu lassen. Geht Euren Weg, macht Euer Ding, seid im Dialog und Austausch, öffnet Euren Horizont und folgt Eurer Intuition. Euer Kind hat sich Euch als Eltern ausgesucht, nicht den Nachbaren oder den Guru. Ihr seid genau die richtigen Eltern für Eure Kinder und Eure Kinder sind genau die richtigen Kinder für Euch. Liebt Euch, reibt Euch und wachst aneinander.

Herzliche Grüsse

Céline

Ps: Gerne könnt Ihr Eure Meinung dazu kund tun. Wieso nicht eine Diskussion über Begrifflichkeiten vom Zaun brechen und was sie mit Euch machen? Helfen sie Euch? Verunsichern sie Euch? Ich freue mich über Inputs und Kommentare, bitte respektvoll, würdevoll und gleichwertig. Alle Farben sollen Platz haben, dann wird es bunt :-).

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