Falsch geklebt – über grosse Tränen und Reaktionen
Es ist kurz vor Weihnachten. Papa Martin ist heute zu Hause und kümmert sich um Haushalt und Kinder. Draussen ist es schon den ganzen Tag kalt, bewölkt und hin und wieder regnet es sogar. Im Haus der Müllers ist es jedoch wohlig warm und sie geniessen einen friedvollen Nachmittag. Den Weihnachtsgeschenken von den Kindern an ihre Verwandtschaft und Göttis wurde diesen Nachmittag noch den letzten Schliff verpasst. Sie haben viel gemeinsam geschafft, die Stimmung war friedlich und harmonisch. Und nun gehen gerade alle getrennte Wege. Papa räumt das Bastelmaterial zur Seite, Sohn Philipp (3.5 Jahre) hört sich in seinem Zimmer eine Wichtelgeschichte an und Tochter Sonja (6 Jahre) versieht die gezeichneten Menschen im Kleberbuch mit schönen Kleidern. Im Hintergrund läuft Musik und Kerzen brennen.
Und dann das, die Stimmung kippt.
Sonja schimpft laut mit sich selbst und dann beginnt sie zu weinen. Papa Martin lässt die Zubereitung des Abendessens stehen und liegen und geht zu seiner Tochter. Er setzt sich hin, nimmt sie in den Arm und fragt, was denn passiert sei? Da erklärt ihm Sonja schimpfend und voller Selbstvorwürfe, dass sie alles falsch gemacht hätte. Sie hätte die Seiten verwechselt und diese Kleber aus Versehen auf der falschen Seite aufgeklebt. Sie beginnt noch heftiger zu weinen und meint, dass nun alles, das komplette Buch kaputt sei. Papa sieht den Kummer seiner Tochter und versucht ihr zu helfen. Er meint, ob es denn nicht möglich sei, diese anderen Kleber dann einfach auf der anderen Seite aufzukleben und damit seien alle Menschen in dem Buch doch noch angezogen? Die Tochter verneint wütend, das gehe nicht, das sei so nicht gedacht. Sie versucht die Kleber wieder weg zu kriegen. Scheinbar hat sie die Absicht, diese weg zu nehmen und auf der korrekten Seite erneut aufzukleben. Papa sieht dem nicht gut entgegen und meint, das sei bestimmt keine gute Lösung. Und nun passierts. Sonja zerreisst das Kleberkleid beim Versuch, dieses von der Seite wegzunehmen.
Und nun schreit Sonja richtig los.
Sie weint, sie schluchzt, sie stapft davon in ihr Zimmer. Martin bleibt am Esstisch stehen und weiss nicht so recht, was er davon halten soll. Scheinbar ist seine Tochter völlig ausser sich aufgrund dieses Malheurs. Soll er sie alleine lassen und sich weiter um das Abendessen kümmern? Es ist ja echt kein Weltuntergang, es geht nur um ein Kleberbuch. Er macht also weiter, wo er vorher aufgehört hatte und beginnt den Tisch zu decken. Aber es ist ihm nicht wohl dabei. Er hört, wie seine Tochter in ihrem Zimmer weint und er spürt, dass er nun zu ihr gehen sollte. Denn egal was er denkt, für sie scheint diese Sache mit dem Kleberbuch gerade einem Weltuntergang zu ähneln. Er geht also in ihr Zimmer und nimmt sich fest vor, für sie da zu sein und sie in ihrem Schmerz zu begleiten. Er nimmt sich auch vor, das genau so zu machen, wie er es im letzten Elterncoaching gehört hatte. Bisher hat das nämlich nie so gut geklappt mit dem Trösten. Sonja hat ihn zwar ins Zimmer gelassen. Wenn er aber versucht hatte sie zu trösten, hat sie ihn auf einmal wieder weg gestossen, raus geschickt oder einfach dicht gemacht. Da war gar kein Rankommen an Sonja. Ein Glück, wenn Sonja’s Mutter auch Zuhause war. Sie hat es doch ab und zu geschafft, an Sonja ran zu kommen in diesen Momenten. Aber wie sie das geschafft hatte, das hat er nie so richtig verstanden. Vielleicht ist das irgend so ein Mutter-Tochter-Ding, dachte er. Bis sie es beim Elterncoaching angesprochen hatten und sie gemeinsam überlegt haben, was Martin denn in diesen Momenten macht.
Martin versuchte auf folgende Weise Sonja zu trösten:
- Wenn Sonja wegen etwas traurig war, dann waren das meistens Dinge, die sich wunderbar lösen liessen. Also zeigte Martin seiner Tochter einfach diese Lösung auf. Doch sie hörte nicht zu. Hm, manchmal schien sie das sogar wütend auf ihn zu machen.
- Manchmal sagte er Sonja, dass das doch nicht so schlimm sei. Das sei doch jetzt wirklich kein Weltuntergang und das ginge schon wieder vorbei. Sie solle es nicht so tragisch nehmen. Hm, das kam meistens auch gar nicht gut an.
- Er versuchte es auch schon mal etwas harsch und sagte deutlich, dass es jetzt aber reiche mit dem Weinen und dass sie sich zusammenreissen solle. Es gehe hier ja echt um keine grosse Sache.
Er atmete nun also tief ein und erinnerte sich an das gemeinsam Besprochene vom Coaching:
- Gefühle wahrnehmen
- Gefühle benennen & annehmen
- Was jetzt? Wie weiter?
Gut, so wollte er es versuchen.
Martin klopfte an Sonjas Zimmertüre und fragte, ob er herein kommen dürfe. „Ja“, rief es schluchzend aus dem Zimmer. Sonja sass unter dem Pult in ihrem Zimmer, die Arme über den Knien verschränkt und weinte bitterlich. Martin fragte: „Darf ich mich zu Dir setzen“? Wieder ein schluchzendes „Ja“. Und er setzte sich zu Sonja hin. Streichelte sie am Rücken und sagte mal eine Weile nichts. Irgendwann sagte er: „Hm, Du bist wohl ganz arg traurig, wie mir scheint“. „Ja – schluchz. Ich habe ALLES kaputt gemacht. Ich habe diese blöde Seite verwechselt und jetzt ist das GANZE Buch kaputt. Ich bin so doof. Ich mache ALLES falsch“.
Oh weh, da scheint ja wirklich eine ganze Welt Kopf zu stehen und nicht mehr in Ordnung zu sein. Das sieht nun auch Martin. Er fragt sich, ob da vielleicht noch etwas Anderes dahinter steckt? Ob es dabei wirklich nur um dieses Kleberbuch geht? Janu, ist ja auch egal. Das ist die Sache seiner Tochter, das geht ihn nichts an und es bringt jetzt auch nichts, da zu bohren. Er hört ihr also einfach nur zu und sagt, dass er sieht, dass sie das ganz arg traurig macht. Er fragt, ob sie vielleicht zu ihm in die Arme wolle, dann könnte er sie noch besser trösten. Und siehe da, Sonja kommt. Sie schmiegt sich an seine starken Schultern und weint sich aus. Martin beisst sich auf die Zunge, dass er diesen Weinanfall jetzt nicht unterbricht. Er sitzt einfach nur da, hält seine Tochter, trocknet ihre Tränen und hört ihr zu, wenn sie etwas erzählt. Er bewertet nicht, er fragt nicht aus. Er ist einfach nur da und hält sie in ihrem Schmerz, in ihrer Traurigkeit. Wage mag er sich noch daran erinnern gehört zu haben, dass die Traurigkeit für etwas gut sei. Hm. War das nicht, um mit etwas abzuschliessen, das nicht mehr verändert werden kann? Stimmt ja eigentlich. Seine Tochter hat die Seiten falsch geklebt. Das ist passiert, das lässt sich nicht ändern. Na dann danke an diese heilsamen Tränen der Traurigkeit.
Nach einer gefühlten Ewigkeit,
beginnen die Tränen zu versiegen. Die Schluchzer werden leiser und Sonja beginnt sich zu beruhigen. Sie scheint auch langsam wieder zu sich zu kommen ist wieder ansprechbar. Nun wagt es Martin, Sonja anzusprechen und er meint: „Du Sonja, ich weiss, das hat Dich jetzt ganz arg traurig gemacht, das mit Deinem Buch. Und das ist OK. Meinst Du, wir könnten gemeinsam überlegen, ob es eine Lösung dafür gibt?“ Nun schaut ihn Sonja mit ihren verweinten Augen an und sagt: „Was meinst Du Papa? Kaputt ist kaputt. Was können wir da schon machen?!“
Ja und nun, nun ist Martin an der Reihe. Er lässt seine ganze Kreativität walten und beginnt, Sonja Lösungsvorschläge zu machen. Die Kleberli könnten auf der anderen Seite geklebt werden. Sie könnten einfach selber Kleider darüber zeichnen, anstatt zu kleben. Sie könnten die Seiten zusammenkleben, die falsch sind. Und, und, und. Sonja hört zu, denkt mit und am Schluss finden die zwei eine Lösung, mit der Sonja zufrieden ist. Auf dem Weg in die Küche bemerken sie, dass Mama in der Zwischenzeit nach Hause gekommen ist. Sonja rennt ihr in die Arme und die Erzählungen sprudeln nur so aus ihr heraus. Martin küsst seine Frau und macht das Abendessen fertig, welches er stehen und liegen gelassen hatte.
Und er freut sich.
Denn heute ist es ihm zum ersten Mal gelungen, seine Tochter bei ihren Tränen zu begleiten. Er ist jetzt zwar etwas müde, aber er hat es geschafft. Vielleicht war es nicht perfekt, was er gemacht hat und wie er es gemacht hat. Doch wen interessiert schon Perfektion? Es fühlt sich auf alle Fälle gut an und er weiss, er wird dran bleiben und wieder versuchen, seine Tochter auf diese Art zu begleiten, wenn ihre Welt gerade unter geht.
Zum Glück hat Martin nicht den Anspruch an sich, dass er für alles immer selbst eine Lösung haben muss. Denn wie in jedem Beruf und dem Zusammenleben mit Menschen macht es gerade mit Kindern Sinn, sich hier und dort Inspirationen von Freunden und Fachpersonen zu holen. Wer neue und eigene Wege mit seinen Kindern gehen mag, der darf sich dafür das nötige Rüstzeug besorgen. Bist du auch bereit für neue Wege und für neues Rüstzeug? Dann melde Dich bei mir https://elternkind.ch/kontakt/. Ich bin für Dich da.
Herzliche Grüsse
Céline
Coaching für Eltern, Nicht-Eltern & Jugendliche – weil Du es Dir wert bist!
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