Mediennutzung – ein möglicher Umgang
Gibt es eine Familie in welcher die Nutzung der Medien kein Thema ist? Wohl kaum. Es ist eines dieser herrlichen Themen, die immer wieder kommen und immer wieder überdenkt, besprochen und neu definiert werden dürfen. Ein richtiger Dauerbrenner in jedem Zuhause, könnte man vielleicht so sagen.
Warum ist das so?
Das Thema Mediennutzung hat es echt in sich. Es stösst bei vielen Eltern auf klare Wertvorstellungen. Eigene Erfahrungen und Erlebnisse prägen den elterlichen Erziehungsrucksack. Dazu kommen Fachartikel, Studien und Gehörtes, wieviel Mediennutzung pro Tag für unsere Kinder „gesund“ und „sinnvoll“ sind. Meinungen, die besagen, dass Mediennutzung generell schädlich ist und die Kreativität unserer Kinder eindämmt. Schuldgefühle, das Kind nicht vor dem Fernseher parkieren zu wollen im Widerspruch, gerade mit kleinen Kindern, dass die Medienzeit auch einfach mal uns Eltern eine kurze Ruhepause gönnt. Dazu kommen die Vorstellungen und Wünsche zum Umgang mit Medien von unseren Kindern und der wandelnde Zeitgeist. Und, und, und – ja, dieses Thema hat es in sich.
Wie können wir damit umgehen?
- Beide Elternteile sollten sich hier gemeinsam über ihre Wertvorstellung einig werden und den äusseren Rahmen definieren (mehr zum Rahmen und unseren Wertvorstellungen findest Du in diesem Artikel). Dieser muss sich natürlich immer wieder verändern und neu definiert werden, halt eben Altersentsprechend. Sind die Kinder klein, sollten wir Eltern den Rahmen alleine definieren, sonst laufen wir Gefahr, ihnen zuviel Verantwortung aufzubürden. Sind die Kinder grösser, dürfen sie vielleicht oder hoffentlich auch beim Rahmen mit diskutieren.
- Es ist wichtig, dass wir Eltern uns hier nicht an irgendwelche Normen oder Vorschriften halten, sonst sind wir nicht authentisch und es fällt uns schwer, eine klare Linie zu haben. Selbstverständlich dürfen wir uns mittels Fachartikel, Studien oder auch Vorschlägen inspirieren lassen, aber schlussendlich sollte es so sein, wie es für die eigene Familie stimmig ist (mehr zum Thema Bauchgefühl versus Erziehungsbücher findest Du hier). Es ist ja oft schon genügend herausfordernd, dass wir Eltern uns betreffend einem Thema einig werden, ohne noch hundert fremde Meinungen.
- Nun können wir unsere Vorstellungen den Kindern am runden Tisch vorstellen. Das ist unser Rahmen, das ist unsere Vorstellung. Der Inhalt des Rahmens kann nun gemeinsam besprochen und definiert werden.
- Nun darf die neue Abmachung für 2-4 Wochen ausprobiert werden. Dies ist eine spannende und anspruchsvolle Zeit für die ganze Familie und Schlussfolgerungen sollten nicht überstürzt getroffen werden. Alle brauchen Zeit, sich an die neue Abmachung zu gewöhnen, denn Veränderungen bedeuten auch immer Instabilität und Loslassen.
- Nach 2-4 Wochen können wir uns wieder am runden Tisch zusammensetzen und besprechen, ob unsere Ideen und Abmachungen für alle Beteiligten Sinn machen und in Ordnung sind. Was klappt gut? Was klappt nicht gut? Was ist schwierig? Was ist für jemanden inakzeptabel?
- Wenn alle mit der neuen Situation zufrieden sind, dann darf sie so beibehalten werden für die nächste Zeit. Das heisst, bis die Kinder wieder grösser sind, die Diskussionen und Nörgeleien zum Thema Mediennutzung wieder neu entflammen und in unserem Alltag Einzug nehmen. Dann wissen wir, es ist an der Zeit, den Rahmen und die Inhalte neu zu definieren und wir beginnen das Spiel wieder von vorne.
- Wenn jemand mit der neuen Situation nicht zufrieden ist, dann darf neu diskutiert und abgemacht werden. Vielleicht braucht es nur ein paar kleine Änderungen der Grundidee, vielleicht muss auch alles nochmals neu überdenkt werden. Es ist wichtig, dass alle Familienmitglieder mit der Lösung wohl und zufrieden sind, damit sich das Thema Mediennutzung entspannen kann und alle harmonisch und in Frieden mit dem Thema sind.
Falls Ihr mehr zu diesem oder ähnlichem Vorgehen wissen möchtet, dann dürft Ihr nach dem Thema „Familienrat“ googeln. Ich beschreibe hier nicht einen klassischen Familienrat, es ist eine abgeänderte Form davon, quasi ein „Mini-Familienrat“. Aber wie Ihr seht, super alltagstauglich. Es müssen natürlich Regeln dabei beachtet werden wie: Wir lassen alle aussprechen, wir sind alle gleichwertig, wir schreiben alle Ideen auf, wir sind respektvoll miteinander, alle sind mit der Lösung einverstanden etc. Wie Ihr den Familienrat anwendet, erfahrt Ihr z.B. in meinem Kurs „Beziehung trotz Erziehung„.
Ein praktisches Beispiel
Wir haben genau dieses Vorgehen bei uns Zuhause wieder einmal durchgeführt (Kinder sind 4&6 Jahre alt), nachdem seit einigen Wochen Diskussionen und Unruhe zur Mediennutzung bei uns Zuhause eingekehrt sind. Vielleicht kennt Ihr solche Situationen?
- Mamiiii, darf ich bitte, bitte noch eine Sendung schauen? Nur noch eine!!!
- Papiiii, können wir heute noch einen Film schauen?
- Nein? Wir dürfen gar NIE fernsehen. Wir dürfen NIE Computer spielen.
- Du bist soooo gemein, ich brauche UNBEDINGT noch eine Sendung, sonst geht es mir nicht gut.
- Ha, ich kann ja einfach ein bisschen länger am iPad spielen. Solange niemand kommt und mich daran erinnert, dass meine Zeit abgelaufen ist.
- Wenn ich auf dem iPad Geschichten höre in meinem Zimmer, dann merkt bestimmt niemand, wenn ich heimlich Spiele darauf mache..
- Grosse Enttäuschung und Emotionen, sobald die Medienzeit vorbei ist.
- Und, und, und…
Unsere praktische Umsetzung sieht zur Zeit so aus:
- Wir Eltern haben besprochen, wieviel Medienzeit (Medien sind für mich alle elektronischen Bildschirme – TV, Computer, iPads, Handy etc.) für uns pro Tag Sinn macht und tragbar ist.
- Wir haben uns als Familie zusammengesetzt und mitgeteilt, dass uns die vielen Diskussionen rund ums Thema Medien „stinken“ und wir gerne gemeinsam eine Lösung dafür finden möchten.
- Wir haben diskutiert, Ideen gesammelt und dabei beschlossen, dass wir Mediengutscheine basteln. Die Gutscheine erhalten die Kinder am Sonntagabend für die nächste Woche (Anzahl Gutscheine richtet sich an das Zeitfenster, welches wir Eltern gemeinsam besprochen haben). Wir haben 10 & 15 Minuten Gutscheine. Die Kinder dürfen NEU entscheiden, für WAS sie ihre Gutscheine einsetzen. Das heisst, ob sie damit Spiele auf dem iPad machen möchten oder etwas im Fernsehen schauen möchten. Sie dürfen NEU auch selbst entscheiden, WANN sie ihre Gutscheine einsetzen. Sind die Gutscheine bereits Mitte Woche aufgebraucht, dürfen sie aushalten, dass sie bis am Sonntagabend auf die neuen Wochengutscheine warten müssen. Medienschulden gibt es bei uns nicht. Sie können die Gutscheine natürlich auch zusammenlegen und sich damit eine Film Zeit raus holen. Der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt.. Zusätzlich haben wir beschlossen, dass es für jedes Kind pro Monat 1en Film-Gutschein gibt. Diesen erhalten sie zurück, wenn der Monat vorbei ist und wir unseren Monatskalender umdrehen (unsere Kinder sind noch zu klein um sich vorstellen zu können, wie lange ein Monat dauert, das hilft zur Visualisierung).
- Zudem haben wir vereinbart, dass…
… nach dem Abendessen keine Gutscheine mehr gebraucht werden können, weil wir dann unser Abendritual gemeinsam geniessen.
… die Mediengutscheine erst eingesetzt werden dürfen, nachdem alle die Morgentoilette (Anziehen, Zähneputzen etc.) gemacht haben.
… die Mediengutscheine nicht unseren gemeinsamen Unternehmungen im Weg stehen sollen. Sie müssen also irgendwie ins Programm eingebettet werden.
… Sollte jemand trotzdem wüten, wenn die Medienzeit vorbei ist, dann kostet ihn das einen 10Minuten Gutschein.
Wir sind nun in der zweiten Woche dieser Abmachungen und Neuerungen. So wie ich das bis jetzt sehe, finden die Kinder diese Neuerungen SUPER. Sie geniessen ihre neue Selbstbestimmung, Freiheit und Verantwortung sehr. Es gab bisher keine Diskussionen und keine Tränen oder Wutausbrüche. Sie hüten ihre Gutscheine wie ein Schatz und setzen diese voller Stolz ein.
Mir selbst fallen diese Neuerungen noch ziemlich schwer. Ich spüre, wie gerne ich die Kontrolle über dieses Thema hatte. Wie ich Sätze in mir trage wie z.B. „Fernseh geschaut wird nur am Abend, sicher nicht am Tag und schon gar nicht am Morgen“. Oder „eine kurze Fernsehzeit am Stück reicht. Zuviel fernsehen am Stück schadet meinen Kindern und macht sie unruhig und unzufrieden“. Ich bin also dabei, einige meiner heiligen Kühe auf die Weide zu entlassen und Kontrolle loszulassen…
Ob unsere Abmachungen so Sinn machen und umsetzbar sind, das weiss ich noch nicht. Wir werden in 2 Wochen schauen, ob diese Idee und Lösung für alle Familienmitglieder stimmt. Und trotzdem finde ich die Idee der Mediengutscheine toll (diese Idee stammt übrigens von meinen Ausbildungs- und Arbeitskolleginnen Stina Boman und Sandra Burri ). Es ist eine kreative Idee, mit dem Thema Medien umzugehen.
Diese Idee beinhaltet und fördert unter Anderem:
- Unsere Führung durch das Vorgeben der Rahmenbedingungen. Die Kinder werden nicht mit zu viel Eigenverantwortung überfordert.
- Durch das Mitspracherecht der Kinder zur Lösungsfindung üben sie konstruktiv Konflikte zu klären und gemeinsame Regeln zu finden.
- Durch das frei bestimmte einsetzen der Gutscheine dürfen sie Eigenverantwortung übernehmen und über sich selbst bestimmen.
- Unsere Kinder können dabei lernen, mit ihren Gutscheinen selbständig zu haushalten (wie später mit dem Geld, ihrer Zeit etc.) und auszuhalten, dass die Gutscheine auch mal schon Mitte Woche aufgebraucht sind.
- Sie dürfen spüren wie es sich anfühlt, wenn sie lange am Stück Medien geniessen (sie werden vielleicht müde, schlapp, lustlos..).
- Sie merken dadurch, wie gut ihnen auch die frische Luft, Bewegung und gemeinsame Aktivitäten tun.
Vielleicht dient Euch das als Inspiration, kreative Lösungen zum Thema Medien zu finden. Wie handhabt Ihr in Euren Familien die Medienzeit? Wenn Ihr weitere kreative Lösungsansätze habt, freue ich mich, wenn Ihr uns diese mitteilt.
Herzliche Grüsse,
Céline
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