Meine kleinen grossen Mädchen

Ich liege in meinem Bett und Du liegst in meinen Armen. Ich spüre, wie Dein Kopf doch schon ein ziemliches Gewicht auf meinen Arm bringt. Ich drücke meine Nase in Dein Haar und atme einen tiefen Atemzug ein. Hm, wie gut Du duftest. So vertraut, es durchströmt meinen ganzen Körper mit Wärme und Liebe. Ich atme und atme und ich möchte diesen Moment so gerne festhalten. Wenn ich Deinen Körper so nah an meinem spüre, dann fühle ich mit jeder Faser, dass Du schon richtig gross geworden bist. Du bist nicht mehr mein Baby, mein ganz kleines Kind. Nein, Dein Körper nimmt schon einen beachtlichen Raum in meinem Bett ein, Du hast schon kompakte und starke Muskeln bekommen. Bald gehst Du in den Kindergarten und dann gehörst Du wirklich zu den Grossen. Ich freue mich auf diesen Moment. Ich freue mich darauf, Dich eine Stufe weiter zu schicken, denn ich weiss, Du bist sowas von bereit für diesen Schritt. Und ich bin auch. Ich bin bereit für diese Veränderung.

Ich geniesse es, wenn ich Euch beim Spielen zusehen kann. Sei es beim Spielen mit Freunden oder auch unter Euch Schwestern. Ihr verhandelt dabei geschickt, Ihr tüftelt immer wieder neue und originelle Rollenspiele heraus, Ihr löst viele Konflikte bereits wunderbar unter Euch, Ihr streitet Euch auch mal heftig und Euer Bewegungsradius vergrössert sich laufend. Ihr braucht mich mit jedem Tag etwas weniger als gestern. So selbständig seid Ihr geworden, sogar Eure Frühstücksflocken, Löffel, Schale und alles was dazu gehört holt Ihr Euch alles ganz selbstverständlich und auch voller Stolz eigenständig heraus. Die vielen Zeiten, in denen ich Euch wundervolle Kinderbücher erzählen konnte, die sind seltener geworden. Nicht, weil ich so beschäftigt bin. Nein, weil Ihr immer mehr andere, für Euch wichtigere Dinge zu tun habt. Ihr zieht es vor, mit Euren Freunden oder gemeinsam zu spielen, Ihr seid irgendwo eingeladen. Es gibt für Euch soviel zu erforschen und zu verstehen, da sind die gemeinsamen Lesestunden zweitrangig. Auf dem Spielplatz sind wir mittlerweile auch seltene Gäste. Er ist Euch oft schon zu langweilig, Ihr seid lieber wo anders in der Natur, wo Eurer Phantasie keine Grenzen gesetzt ist oder wo Ihr Euch mit Euren mobilen Fahrgestellen so richtig austoben könnt. Und wenn wir auf dem Spielplatz sind, dann werde ich zum Zaungast. Ihr könnt Euch selbst auf der Schaukel angeben, Ihr könnt selbständig überall hoch klettern, für all dies braucht es meine Hilfe nicht mehr. Ich bin eigentlich bloss noch dabei, weil Ihr es Euch dann doch noch nicht zutraut, ganz alleine dahin zu gehen. Dafür fühlt Ihr Euch noch nicht bereit. Und das ist OK so. Vielleicht wäre mir das auch schon zu schnell, wer weiss?

Ja, soviel ist passiert, so Gross seid Ihr geworden. Speziell in dem Moment, in dem Du hier, zwischen meinen Armen liegst, meine grosse Kleine, spüre ich das immer ganz deutlich. Das Baby ist fort, das Trotzkind auch. Wir sind in einem neuen Abschnitt angekommen. Ich darf loslassen, Ihr dürft Euch entwickeln. Ich bin Euch dankbar dafür, dass Ihr alles so mutig in Angriff nehmt. Dass Ihr auf das Leben zuschreitet, es entdeckt und es bejaht. Ich bin Euch dankbar für alle Konflikte, die wir bisher miteinander austragen durften, auch wenn ich das im Moment jeweils ganz anders empfinde :-). Ich wachse täglich an Euch, das ist ein riesiges Geschenk für mich. Und doch möchte ich sie ein kleines bisschen festhalten, diese Momente. Dieser Moment, wo Du, meine grosse Kleine in meinen Armen liegst. Wo ich Deinen Duft einatmen kann. Wo ich Dir über Dein Gesicht streichen kann und mir denke, wie wunderschön es doch ist. Wo ich meine tiefe Liebe zu Dir spüren kann. Bleibe noch ein wenig. Genau so, genau jetzt in meinem Arm. Komm weiterhin am Morgen in mein Bett, ich finde das so schön. Eine Weile noch, ich brauche diese nahen Momente mit Dir noch.

Und dann ist da meine Grosse. Die Kuschelmomente mit Dir sind noch seltener geworden. Und ich bin Dir so dankbar, dass Du Dich dann doch immer mal wieder auf meinen Schoss setzt. Dass Du Dich bei mir an der Schulter ausweinst, wenn Du manchmal völlig überdreht und durch den Wind von all den vielen Eindrücken und Erlebnissen aus dem Kindergarten nach Hause kommst. Ich bin so froh, dass ich dann für Dich da sein darf, Dich begleiten darf, dass Du mir Dein Vertrauen schenkst. Auch Du läufst mit riesigen Schritten weiter. Du bist gerade wieder dabei, einen grossen Schritt zu wagen. Du möchtest sogar manchmal für eine kurze Zeit alleine Zuhause sein. Du beginnst mit Eifer Buchstaben aufzuschreiben, versuchst Wörter zu bilden. Du liest ein Wort laut, das irgendwo geschrieben steht. Du siehst Dir neue Dinge im Fernsehen an und brauchst Dir nicht immer das Gleiche jeden Tag aufs Neue anzusehen, wie damals, als Du noch kleiner warst. Du kommst mit einem Buch, das um verschiedene Religionen geht. Du fragst mich, wie die Welt aussieht. Warum wir nicht spüren, dass sie sich dreht und nicht runter fallen. Was es mit den Sternen und dem Mond auf sich hat. Wie ein Baumblatt heisst. Deine Wissbegierigkeit kennt im Moment keine Grenzen. Und ich, ich finde es interessant, mit Dir über die Welt und unser Dasein philosophieren zu können. Ja, die kleinen Bücher verschwinden. Dafür tun sich neue Beziehungsebenen auf und die sind mindestens genauso schön. Und doch möchtest Du manchmal auch wieder Klein sein. Wird Dir das ganze Gross sein einfach zu viel, Du machst dann einen Schritt zurück. Das irritiert mich manchmal und ich kann Dich nicht immer optimal als Kleine auffangen. Aber wenn ich es kann, dann geniesse ich es. Denn auch hier bleibt für mich die Zeit noch einmal kurz stehen, ich darf noch einmal einen Blick zurück werfen. Dich an mich drücken, Dir sanft über den Rücken und durch die Haare streicheln.

Ja meine kleinen grossen Mädchen, Ihr wachst. Und ich wachse mit Euch. Manchmal wachsen wir in Harmonie, im Gleichschritt. Manchmal hinke ich hinter Euch her und Ihr seid mir einfach eine Nasenlänge voraus. Was sich verändert, ist die Aktion, wie wir unsere Beziehung leben. Was bleibt, ist die tiefe Liebe.

Meine Mädchen in meinen Armen und auf meinem Schoss, lasst mich einen Hauch Eures Duftes einatmen, ein Auge voll von Euren schönen Kindergesichtern nehmen und diese Eindrücke tief in mein Herz einschliessen. Wieder und immer wieder. Ich danke Euch für alles, was Ihr seid und mich lehrt!

Von Herzen,

Eure Mami

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