Sind Strafen, logische Konsequenzen oder Folgen denn alles das selbe?
Hier scheiden sich die Meinungen. Und die Aussagen von Fachkräften und Pädagogen sind total widersprüchlich. Also da wird mir als Fachkraft manchmal schon ganz sturm im Kopf. Und doch sind diese Widersprüche auch nachvollziehbar. Denn nicht jede Fachkraft und jeder Pädagoge hat die selbe Gesinnung. Zum Glück gibt es auch hier die „Artenvielfalt“ mit vielen verschiedenen Meinungen und Haltungen.
Und genau deshalb gibt es ja auch verschiedene Erziehungsstile, damit wir herausfinden können, von welchem Stil wir uns mehr Informationen wünschen. Wenn nun aber das Wort Erziehung und Erziehungsstil auch schon wieder negativ behaftet wird, was im Moment hoch im Trend ist, hm, dann wird’s echt kompliziert. Doch auf das Wort Erziehung möchte ich hier nicht eingehen, dazu gibt es hier einen Artikel.
Also, ich versuche dann mal das Thema nach meinem Hintergrund der Individualpsychologie, demokratischen Erziehung und meinen eigenen Gedanken aufzuschlüsseln…
Strafen
Ich habe das Gefühl, dass immer mehr Menschen bewusst wird, dass Strafen keinen Sinn machen. Und viele versuchen die Erziehung oder das Begleiten der Kinder ohne Strafen. Dass das nicht immer gelingt, weil manchmal einfach andere Wege und Tools fehlen, das ist normal. Ebenfalls passiert es schon mal, dass im Affekt etwas gesagt wird, was wir bei „klarem Verstand“ so nicht sagen würden. Denn wir alle sind Menschen und manchmal drücken die alten Rucksäcke einfach zu stark durch. Da übernimmt auch mal unser Reptilienhirn die Führung. Das soll keine Entschuldigung sein, doch wir sind auch einfach alle nicht perfekt und das ist auch gut so. Das macht uns menschlich und wir dürfen noch dazu lernen.
Wenn wir uns hinterfragen, wieso Strafen eingesetzt werden, dann sicherlich oft aus folgenden Gründen:
- Zur Demonstration von Macht. Es wird klar gestellt, wer hier der Chef ist und das Sagen hat.
- Aus Hilflosigkeit, weil das Kind nicht zu kooperieren scheint und es dem Erwachsenen sehr wichtig ist.
Also bedienen Erwachsene sich der Strafe. Aus Wut, Verletzung, Verärgerung oder Hilflosigkeit und mehr.
Seid Ihr mit mir einig, dass all diese Beweggründe zwar nachvollziehbar sind, jedoch nicht für einen gleichwertigen und respektvollen Umgang miteinander sprechen? Also für mich steht ausser Frage, dass ich meinen Kindern solche Strategien nicht vorleben möchte und auch nicht mit an die Hand geben möchte. Denn sie führen ganz bestimmt nicht zu einer friedlicheren Weltsicht. Sie führen viel eher zu Weltsichten wie: Der Mächtigere hat das Sagen. Fürchte Dich vor Autoritäten, sie können hart und gemein sein. Wer Stärker ist gewinnt immer. Mach Dich klein und unsichtbar, dann geschieht Dir nichts. Und vieles mehr. Was es mit dem Selbstwert eines Menschen macht? Sicher keine Stärkung und Verbesserung.
Wir wurden auch bestraft? Und es hat uns nichts geschadet? Ja, das stimmt, wir wurden auch bestraft. Doch ob es uns nichts geschadet hat, das bezweifle ich. Wenn ich sehe wo auf der Welt überall Krieg und Macht regiert auf negative Art, dann ist hier irgend etwas nicht rund gelaufen. Wenn ich sehe, wie die Krankenkastenkosten explodieren aufgrund körperlicher Beschwerden und wie explosiv psychische Krankheiten (Burn-Out, Depressionen etc.) ansteigen – nein, dann ist irgend etwas nicht ganz rund gelaufen. Ja, aber es stimmt schon. Viele sind leistungsfähig, ehrgeizig und pflichtbewusst. Doch zu welchem Preis? Was zahlt die Seele dafür? Entscheide Du für Dich selbst.
Logische Konsequenzen
Wurden und werden vielerorts als Alternative zu den Strafen angeboten. Ich selbst habe mich nie mit den logischen Konsequenzen auseinander gesetzt, nur diverse Blog Artikel dazu gelesen. Deshalb kann ich hier auch nicht mehr dazu sagen. Darin lese ich vorallem die Ansicht, dass Konsequenzen nichts anderes als Strafen sind. Wenn Du mehr dazu lesen möchtest, dann gibt es hier einen sehr ausführlichen Artikel von „Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn“. Sie beleuchten das Thema von verschiedensten Seiten.
Natürliche Folgen
Natürliche & Logische Folgen, darüber kann ich etwas sagen. Denn dieses „Tool“ habe ich in der Ausbildung am AAI-IP-Erziehung gelernt. Also zuallererst sollten natürliche und logische Folgen unterschieden werden, sie sind nicht das selbe.
Merkmale von natürlichen Folgen sind:
- Die Erziehungsperson, das Elternteil greift NICHT ein (keine Diskussion, keinen Streit etc.)
- Die Folge entsteht durch die Natur, das eigene Erleben, das eigene Erfahren.
(Hier sind wir bei der untersten Stufe des Lernbergs nach Vera F. Birkenbihl, welchen ich genial finde. Das Video dazu findest Du hier. Der Lernberg wird in den Minuten 10.30 – 27ig erklärt.) - Der Erwachsene gibt lediglich relevante Information dazu.
Wichtig ist bei den natürlichen Folgen immer die Frage: Ist die Folge für das Kind und die Umwelt zumutbar?
Hier unterscheiden sich natürlich auch wieder die Haltungen, Werte, Ziele, Ängste und Befürchtungen von Eltern und Erziehungspersonen. Ob es zumutbar ist, im Pijama durchs Dorf zu laufen, Barfuss in die Schule zu gehen, im Restaurant herum zu laufen oder ohne Winterkappe das Haus zu verlassen – hier kommen die persönlichen Rucksäcke, Lebensstilsätze und heiligen Kühe ins Spiel. Für mich gibt es Dinge, die auf lange Sicht nicht zumutbar sind, weil wir Eltern die Verantwortung tragen. So z.B. ist es für mich nicht zumutbar, wenn über längere Zeit die Zähne nicht geputzt werden bei einem kleinen Kind. Oder wenn ein kleines Kind ohne Jacke aus dem Haus geht und auch keine im Gepäck dabei ist. Denn Kinder können diese Folgen schon rein Hirntechnisch einfach noch nicht abschätzen.
Ich liebe die natürlichen Folgen, denn sie nehmen uns einige unnötige Diskussions- und Streitpunkte weg und ich kann damit viel Eigenverantwortung an die Kinder übergeben. Hier gilt es die Balance zu finden. Ein Zuviel kann für die Kinder belastend und überfordernd sein, kann verantwortungslos sein und ins Laissez-faire kippen. Ein Zuviel kann unter Verwahrlosung gehen. Davon spreche ich hier nicht. Doch es gibt einige Themen, die wir der Natur überlassen dürfen.
Persönliche Beispiele:
- In der Kita war der Räbeliechtli-Umzug und danach gab es noch ein gemütliches Beisammensein bei Suppe und sonstigen Leckereien. Die Kinder spielten und waren zufrieden. Es war schon relativ spät, als wir nach Hause gehen wollten.
Nun kam das Anziehen in der Garderobe. Ja und Ihr könnt Euch denken, dass nun ganz viel auf meine kleine Tochter, knapp 2 Jahre alt, einprasselte. Sie durfte innerlich bewältigen, dass der schöne Abend und Tag nun vorbei geht. Dass nun ein Wechsel (Abschied) ansteht und sie nicht mehr spielen kann. Dass Zuhause das Bett wartet. Dazu kam die Müdigkeit. Sie zog die Jacke an und wollte dann aber keine Schuhe anziehen. Draussen war es kalt und es regnete.
Ich überlegte also kurz im Stillen:
„Es sind 3 Meter bis zum Auto. Mit dem Auto 5Min. bis nach Hause. Dort in die Tiefgarage, von der Tiefgarage zum Lift, hoch in die Wohnung. Pijama anziehen, Zähne putzen und zack ins Bett. Ist es also schlimm wenn sie nasse Socken hat und kalte Füsse kriegt? Nö, voll zumutbar.“
Also reagierte ich wie folgt. Ich gab meiner Tochter die Information, dass es draussen regnet und Herbst, also kalt ist und sie kalte nasse Füsse bekommt. Sie zuckte mit den Schultern. Gut, Mama auch. Wir gingen zum Ausgang. Aaaachtung, nun riefen uns sicher 5 andere Mamas zu: „Hast Du gesehen, Deine Tochter hat keine Schuhe an!“ Ich darauf: „Ja, bin ich mir bewusst. Ist schon OK.“
Und als wir die Türe öffneten und sie den ersten Schritt heraus machte, da sagte meine Tochter: „Mama – nass!!! Boden nass!!!“. Und ich: „Mhm, ja, stimmt.“ Sie guckte mich an und meinte: „Ich will Schuhe.“. Und ich darauf: „Klar, kannst Du gerne haben.“
Ich half ihr in die Schuhe und wir gingen zufrieden nach Hause. Ohne Gejammer, ohne Gefühlsausbruch oder Trotzanfall, ohne Machtkampf. Es kam auch kein „ich habs Dir doch gesagt“ oder irgend etwas von mir. Denn darum geht es eben nicht. Das ist kein Machtkampf um zu beweisen, wer hier der Stärkere ist.
Das Kind darf lediglich eine eigene Erfahrung machen. Und auch wenn meine Tochter in den Socken raus spaziert wäre, das wäre genau so OK gewesen. - Ein anderes Beispiel, es geht hier allerdings wieder um Schuhe…
Tochter 2 wollte im Sommer bei 32°C Gummistiefel anziehen, als wir zum Meierbädli bei uns quer durchs Dorf wollten. Meine Information:
„Schatz, es ist heiss draussen. Ich finde Gummistiefel keine gute Idee, denn ich denke, dass Deine Füsse darin ziemlich schwitzen werden.“ Sie entschied sich für Gummistiefel.
Ist etwas passiert? Nein. Sie lief den ganzen Weg zur Badi in Gummistiefeln. Auf dem Rückweg meinte sie: „Mama, die Gummistiefel sind so unbequem.“ Ich darauf: „Hm, ja, das kann ich mir vorstellen. Ist vielleicht einwenig heiss dafür. Möchtest Du lieber Barfuss nach Hause und die Gummistiefel tragen?“ Sie darauf: „Ja!“.
Und das war’s dann auch schon wieder. Keine Diskussion, kein Machtkampf, kein Thema. Sie durfte selbständig eine Erfahrung machen und ihre Schlussfolgerungen daraus ziehen. Ohne irgend etwas Rechthaberisches von meiner Seite.
Manchmal entstehen bei den natürlichen Folgen dann Gefühlsausbrüche. Die Kinder sind gefrustet über ihre Entscheidung, dass sie es nicht rechtzeitig aus dem Haus geschafft haben und nun ohne Freunde in den KiGa laufen dürfen oder sonst etwas. Diese Gefühle sind OK. Nun sind wir Erwachsenen gefragt. Wir dürfen all das was kommt liebevoll begleiten und vielleicht sogar im Nachhinein gemeinsam reflektieren. Wir können uns dabei voll auf die Seite des Kindes stellen, empathisch in es hinein fühlen und unser Ego aussen vor lassen.
Dass natürliche Folgen hier und dort die Eigenverantwortung stärken und das eigene Erleben bereichern, darüber sind sich wohl die meisten Fachpersonen einig. Darüber lese ich zumindest keine kritischen Stimmen. Dort, wo es mir besonders schwer fällt, dem Kind seine Eigenverantwortung zu geben, dort ist es interessant mal genauer hinzuschauen, warum es schwer fällt. Vielleicht auch gemeinsam mit einer Fachperson?
Logische Folgen
Merkmale von logischen Folgen sind:
- Die Erziehungsperson oder Eltern greifen ein.
- Unsere realistischen Erwartungen oder die eigenen Bedürfnisse werden mit dem Kind besprochen.
- Wir handeln und eine logische Folge tritt ein.
- Diese sollte im Zusammenhang mit dem Thema stehen – eben logisch sein.
- Bei älteren Kindern kann diese logische Folge bei der gemeinsamen Besprechung zusammen vereinbart werden. Hier ist wichtig, dass alle Beteiligten damit einverstanden sind.
- Tat und Täter werden getrennt.
Zu erst einmal klingt das nicht viel anders als eine Strafe. Zugegeben. Doch bei der Strafe geht es um Machtanspruch oder anderes, wie oben geschrieben. Hier geht es nicht im entferntesten um so etwas. Es geht darum, dass das Kind sich nicht kooperativ zeigt und selbst scheinbar keine Motivation von selbst hat, dieses Thema anzugehen oder seine Verhaltensweise zum Wohle anderer Menschen anzupassen. Das ist ja auch OK. Das Kind darf sich für sich selbst entscheiden und gegen die Gemeinschaft.
Es ist aber vielleicht ein Thema, das für uns Erwachsenen von hoher Wichtigkeit und Wertigkeit ist, und wir sind nicht bereit, hier grossartig zu diskutieren und den Pfau zu machen. Manchmal mag ich den Pfau nicht machen und das ist auch total OK. Wir können eben nicht über alles immer diskutieren, das würde meine Mama-Ressourcen hier und dort einfach überstrapazieren.
Ganz wichtig ist, dass es um die Tat geht. Die Verhaltensweise, die Handlung, die Tat ist unerwünscht, nicht adequat. Der Täter, der Ausführende, das Kind – ist IMMER geliebt und OK wie es ist. Das ist eine Haltung, die sich komplett von der Haltung bei Strafen unterscheidet. Wir sind auch völlig gleichwertig. IMMER. Diese Haltung ist auch unabdingbar. Und doch gibt es Bereiche, wo ich als Erwachsene einfach die Verantwortung übernehme und hier schaue, dass beim Kind oder bei der Gesellschaft kein Schaden entsteht, den es selbst noch nicht abschätzen kann. Und dafür kann ich eine logische Folge einsetzen.
Persönliche Beispiele:
- Zähne putzen war bei mir ein Thema, über das ich nicht jeden Tag diskutieren mochte. Ich hatte auch schon gaaanz viel verschiedenes ausprobiert. Ideen dazu gibt es mittlerweile unzählige im Internet (gegenseitiges Zähne putzen, Zahnputzlied singen, Sanduhr die durchläuft, in ein Spiel einbauen, das Kind putzt gleichzeitig einer Puppe die Zähne, und, und, und.). Doch alles half nicht wirklich und fast täglich tauchten die selben Diskussionen wieder auf. Diese waren weder für meine Ressourcen noch für unser Familienklima angenehm. Also ging ich wie folgt vor. Ich sagte meinem Kind:
„Schau, Zähne putzen ist mir wichtig und darüber mag ich nicht diskutieren. Wenn Du nicht putzt, kommen Bakterien und die machen Deine Zähne kaputt. Dann kannst Du kaum mehr essen, es sieht grauslig aus und das reparieren beim Zahnarzt kostet viel Geld. Du kannst aber entscheiden, dass Du Deine Zähne nicht putzt. Das respektiere ich. Somit gibt es aber am nächsten Tag nichts mit Zucker zu Essen oder zu Trinken, denn der Zucker macht Deine Zähne kaputt. Und das geht für mich nicht. Du entscheidest.“
Und das Kind entschied sich fürs nicht putzen (es hatte die Wahl). Am nächsten Tag gab es dann wie angekündigt nichts mit Zucker. Ich habe keine sanfte und angepasste Kinder, sondern Willensstarke, Selbstbewusste und Gefühlsstarke Kinder. Somit war dann am nächsten Tag der Frust, die Traurigkeit oder auch die Wut sehr gross. Hier war ich nun gefragt, den ganzen Tag all diese Gefühle zu Halten und liebevoll zu begleiten. Und die Aussicht darauf zu stellen, dass es morgen wieder Zucker gibt, wenn die Zähne wieder geputzt und geschützt sind.
Das Thema war damit vom Tisch, wir hatten keine Diskussionen mehr. Beim 2. Kind machte ich das Gleiche und der Effekt war der selbe.
Ob es sich von den Kindern von einer Strafe unterschieden hat? Ich weiss es nicht. Meine Liebe hatten sie jedoch die ganze Zeit, ebenfalls mein Wohlwollen und mein Verständnis. Sie erfuhren auch meine Klarheit und dass ich die Führung übernehme. Ich kann mir kaum vorstellen, dass das meinen Kindern geschadet hat. Im Gegenteil, meine Ressourcen wurden geschont und das Familienklima dadurch verbessert. Und sie hatten auch eine Wahl, da war kein Zwang dabei. - Ein weiteres Beispiel war das Laufrad. Wir waren zu Fuss und mit Laufrad im Dorf unterwegs. Wir handhabten das so, dass wir jeweils einen nächsten Treffpunkt abgemacht haben. Z.B. „Bei diesem Haus mit den blauen Läden wartest Du auf uns.“ Denn meine kleine Tochter war da gerade mal 2.5 Jahre alt und der Satz „Fahr nur so weit, wie Du mich noch sehen kannst“, der überstieg ihr Vorstellungsvermögen. Dazu hätte sie sich ja immer wieder umdrehen sollen um zu schauen, ob sie mich noch sieht. Das klappte auch oft ganz gut. Und wenn sie auf uns wartete, sparte ich auch nie mit der Ermutigung „Danke, dass Du auf uns gewartet hast.“ oder „Schön, dass Du wartest und ich mich auf Dich so gut verlassen kann“.
Nun kam aber der Zeitpunkt, wo sie auf einmal nicht mehr wartete. Ständig fuhr sie an den Abmachungen vorbei und ich kam innerlich richtig in Stress. Sie konnte noch nicht mit der Strasse umgehen und das Risiko wollte ich nicht eingehen, das war mir zu gefährlich. Ich hatte Angst. Nachdem das ein paar Tage hintereinander mehrmals passiert ist, wusste ich, jetzt ist es Zeit zu handeln. So griff ich ein und sagte:
„Schau, ich erwarte von Dir, dass Du am abgemachten Treffpunkt auf uns wartest. Sonst mache ich mir grosse Sorgen, dass Dir an der Strasse etwas passieren könnte. Ich habe Angst und bin gestresst. Das will ich nicht. Du darfst also bei der Abmachung auf uns warten und sollte dies nicht klappen, kommt Dein Laufrad für diesen Weg zu mir und Du darfst mit uns zu Fuss weiter gehen.“
Sie nickte und fuhr am nächsten Treffpunkt vorbei. Grinste, als wir auf ihrer Höhe waren. Und nun nahm ich ihr das Laufrad ab und es kam zu mir. Der Frust kam in ihr hoch, Ärger und Enttäuschung. Tränen. All diese wurden von mir begleitet, wir setzten uns dazu auf den Boden. Wir liessen diesen Gefühlen Raum und Zeit und ich begleitete sie dabei. Als sie wieder ansprechbar war, sagte ich ihr, dass sie morgen ihr Laufrad wieder haben dürfe (Aussicht auf das Positive). Denn ich sei mir sicher, dass sie sich an unsere Abmachung halten kann, dass ihr das morgen wieder gelingt. Doch für den heutigen Nachhauseweg bleibe das Laufrad bei mir. Sie nickte, gab mir die Hand und wir genossen einen gemütlichen Spaziergang nach Hause.
Wie Ihr hört kommt hier nirgends ein „Ich habe es Dir doch gesagt!“ vor. Oder ein „Tu nicht so blöd, es war ja Deine Entscheidung. Du hast ja gewusst, was auf Dich zukommt!“ oder so ähnliches. Sondern sie erfuhr Klarheit, Liebe und Begleitung. Jedoch auch, dass sie selbst entscheiden kann und dass ihre Entscheidung eben Folgen hat. Manchmal sind die Folgen toll, manchmal nicht so. Ja, so ist das Leben.
Wenn meine Kinder das bei mir nicht lernen, dann lernen sie es irgendwo wo anders. Ob das ganze dann gleich liebevoll abläuft, das bezweifle ich. Logische Folgen habe ich vor dem Trotzalter keine eingesetzt. Im Trotzalter ganz, ganz spärlich. Und seither so gut wie nie mehr. Denn ich bin überzeugt, dass wir mit Aktivem Zuhören, Kommunikation, Wahlmöglichkeiten, Gleichwertigkeit, Respekt, Familienrat und vielen anderen Dingen meistgehend darum herum kommen. Zieht mal alles gar nicht und möchten wir unsere Ressourcen schonen oder einen Machtkampf umschiffen, dann finde ich logische Folgen OK.
Aber ACHTUNG:
- Sind wir emotional stark beteiligt, funktionieren die logischen Folgen nicht. Unsere Haltung ist dann nicht neutral und zu schnell sind wir in der Demonstration von Macht oder Anderem.
- Eine logische Folge sollte eintreten, wenn sie vereinbart wurde. Nur dann sind wir klar. Ich sage gerne in meinen Kursen, dass wir entscheiden können, wann wir eine Bombe platzen lassen. So eine Folge setze ich ja nie im Affekt ein. Diese überlege ich mir in Ruhe für ein wiederkehrendes Problem, somit ist sie geplant. Also suche ich mir einen Tag aus, wo ich dann auch die Gefühlsaubrüche, die garantiert darauf folgen, gut halten und begleiten kann. Und nicht an einem Stresstag, wo für nichts Zeit ist.
- Die Aussicht auf das Schöne was kommt, sollte auf keinen Fall fehlen. Wir können trotzdem zusammen lachen, tanzen, spielen, Eis essen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wir begleiten lediglich liebevoll einen Lernschritt. Und halten wenn nötig mit aus. Wir sind keine Richter oder Bestrafer.
- Auch sollte die Ermutigung, auf alles was klappt oder schon besser funktioniert, auf keinen Fall vergessen werden. „Erwische mich, wenn ich gut bin.“ – ist hier die Devise.
- Logische Folgen nur auf regelmässig wiederkehrende Situationen verwenden. Einmal ist keinmal. Und so schnell sind wir von der Haltung her im Strafen, deshalb so wenig wie nur irgendwie möglich.
- Zuerst probiere ich immer alles andere aus. Versuche „Out of the box“ zu denken. Humor und Verständnis hilft oft viel weiter. Auch dürfen wir unsere Erwartungen überprüfen. Sind sie Altersgerecht? Kindgerecht? Oder müsste etwas am System, an der Umgebung geändert werden?
- Und das Wichtigste: „Du bist immer geliebt“ und „Du bist OK wie Du bist. Und ich bin OK wie ich bin“. IMMER.
Unterscheiden sich die logischen Folgen von Strafen oder nicht? Was meinst Du? Entscheide bitte selbst. Ich finde sie unterscheiden sich schon, wenn sie richtig angewandt werden. Und dies ist eine hohe Kunst, schwierig zu beherrschen. Genau darum setze ich sie selten bis fast nie ein.
Deine Meinung interessiert mich. Schreib mir doch was Du denkst, das würde mich freuen. Oder ergänze, wenn ich etwas vergessen habe. Danke. Aber bitte mach es liebevoll und gleichwertig. Seit Wochen überlege ich, ob ich über dieses Thema schreiben mag. Wenn ich in Foren höre, wie dogmatisch und extrem auf Worte wie „Konsequenzen“ reagiert wird, dann scheute ich mich ehrlich gesagt davor. Und doch, ist es mir auch wichtig, etwas zur Klärung beizutragen. Und ich hoffe, das ist mir hiermit gelungen. Ich gebe keine Rezepte heraus, alles sind nur Ideen. Und sind wir mal ehrlich – was wissen wir schon, wir, die wir auf dieser Welt leben? Jeder hat seine eigene Wahrheit. Also lassen wir das bewerten und urteilen über Dinge und andere Meinungen und Haltungen. Die Welt ist bunt und vielfältig. Und das ist auch gut so.
Herzliche Grüsse
Céline
Sehr schön geschrieben!