Heisst demokratische Erziehung, dass niemand die Führung hat und wir alle am runden Tisch sitzen?

Ich hatte gestern ein gemütliches Beisammensein mit Freunden. Dabei sind wir auf das Thema Erziehung zu sprechen gekommen und ich wurde gefragt, ob denn demokratisch erziehen bedeute, dass man alles gemeinsam entscheide. Das könnte ja dann so wie in der Politik aussehen, dass man manchmal zu nichts kommt und wie sollten kleine Kinder schon mitentscheiden? Das klinge nicht richtig, jemand müsse doch die Führung übernehmen. Ich fand das spannende Gedankengänge, denn ich bin mir sicher, dass die Bezeichnung „demokratische Erziehung“ in vielen Menschen genau diese Bilder herauf beschwört.

Ich möchte jetzt keinen Exkurs über die demokratische Erziehung hier schreiben. Aber es ist mir ein Anliegen, etwas wichtiges zu diesem Erziehungsstil zu sagen um Euch ein anderes Bild zu geben..

Der Rahmen

Stellt Euch einen Bilderrahmen vor. In diesem Bilderrahmen stehen alle Regeln, die in Eurer Familie gelten. Regeln, welche Ihr aufgrund von Eurer Herkunft, Euren Überzeugungen, Erfahrungen und gemeinsamen Wertvorstellungen mit dem Partner aufgestellt habt. Diesen Regelrahmen gebt Ihr Eltern vor, denn Ihr möchtet Euren Kindern die für Euch wesentlichen Wertvorstellungen vermitteln und Ihr übernehmt damit auch klar die Führung. Im äusseren Rahmen stehen die Regeln, die für Euch wichtig sind und die für Euch nicht zu diskutieren sind. Beispiele hierfür können sein:

  • Eine Süssigkeit pro Tag
  • Jedes Familienmitglied betreibt ein Hobby
  • Das Essensangebot auf dem Tisch
  • Bei Regen ziehen wir uns Wetterfest an
  • Fernsehen gibt es X-Minuten pro Tag
  • Etc.

Nun gibt es eine Fläche innerhalb des Rahmens, dort wo das Bild wäre. Hier hat das Kind die Wahl, hier darf es eigenmächtig entscheiden und somit lernen, Entscheidungen selber zu treffen und die Folgen für seine Entscheidungen auch selber zu tragen. Was in meinen Augen sehr wichtige Kompetenzen sind, die hier gelernt werden (Risiken abschätzen, Entscheidungen treffen, die Folgen dafür tragen). Und dazu erfährt das Kind, dass es mitentscheiden darf, dass es selbstbestimmt sein darf, diese Entscheidungen von uns Erwachsenen respektiert und ernst genommen werden.

Das kann für die beschriebenen Beispiele dann so aussehen:

  • Eine Süssigkeit am Tag – Das Kind darf entscheiden, welche Süssigkeit. Soll das ein Stückchen Schokolade, ein Bonbon, ein Kaugummi oder ein Glacé sein?
  • Jedes Familienmitglied betreibt ein Hobby – Das Kind darf entscheiden, ob das ein Sportverein ist, ein Musikinstrument, eine Malgruppe, Pfadi etc.
  • Das Essensangebot auf dem Tisch – Das Kind darf entscheiden, was es vom Angebot auf dem Tisch essen mag. Isst es vom Reis, vom Fisch, vom Fleisch, von den Gurken – oder von verschiedenen Dingen. Es darf selber entscheiden was und wieviel. Wenn wir als Eltern das Gefühl haben, dass es zu einseitig wird, dann können wir ja das Angebot für die nächste Mahlzeit anpassen 🙂
  • Bei Regen ziehen wir uns Wetterfest an – Das Kind darf entscheiden, ob es die Regenjacke und Regenhose anziehen oder lieber die Regenjacke und Regenschirm mitnehmen möchte.
  • Fernsehzeit pro Tag beträgt X-Minuten – Das Kind darf entscheiden, ob es in dieser Zeit Laura Stern, Winnie Puh, Heidi, JoNaLu etc. sehen möchte. (Natürlich geben wir auch hier die Auswahl vor. Wie die Wahlmöglichkeiten angewendet werden können, kannst Du hier nachlesen.)
  • Etc.

 

Das Bild und der Rahmen in ständiger Bewegung

Dieser äussere Rahmen und auch der Inhalt zum selber entscheiden, sind in ständiger Bewegung. Je nach Alter, Entwicklungsstand und Umfeld des Kindes verändert er sich. Ist das Kind etwas älter, dann gibt es vielleicht nicht mehr eine Medienzeit pro Tag, sondern eine Medienzeit pro Woche. Das Kind darf dann selber entscheiden, wann und wieviel Medienzeit es einsetzen möchte und für was. Möchte es die Zeit für Computerspiele oder für Fernsehen brauchen? Es gibt natürlich unzählige andere Möglichkeiten, das soll nur aufzeigen, wie sich der Inhalt und die Rahmengrösse verändern.

Und ja, wenn das Kind grösser wird, dann schrumpft der äussere Rahmen immer mehr. Es braucht weniger Rahmen, denn es hat sich über viele Jahre hinweg altersentsprechend in Entscheidungskompetenz geübt. Es wurde dabei liebevoll, lösungsorientiert und klar von uns Eltern begleitet. Nun ist es in der Lage, selbständig viele Entscheidungen treffen zu können und auch die daraus entstehenden Konsequenzen abschätzen zu können.

Wie wärs, wenn Ihr Euch mal Euren eigenen Werte-/Regelrahmen zu Hause aufzeichnet? Macht dieser Sinn? Sind vielleicht zu viele Regeln im äusseren Rahmen? Zu wenige? Hat mein Kind die Wahl? Altersgerecht? Stimmen diese Regeln und Werte mit denen des Partners überein? Oder sind einige Werte noch alte Zöpfe von meiner Ursprungsfamilie, welche ich ungefragt übernommen hatte, die aber eigentlich gar nicht mehr meinem Lebensmodell entsprechen? Dies nur eine paar Ideen für eine kleine Selbstreflektion, falls Du dazu Lust hast :-). Und hey, dieser Rahmen gehört jeder Familie ganz individuell. Jeder Elternpartner bringt seinen eigenen Rucksack und Wertvorstellungen mit in die Elternschaft. Wer als Aussenstehender hier mitmischen möchte, den dürft Ihr gerne auf Eure Grenzen verweisen, hier hat kein Aussenstehender etwas zu suchen!

 

Falls Du Fragen oder Anregungen dazu hast, dann freue ich mich über einen Kommentar von Dir. Wenn Dir dieser Inhalt wertvoll erscheint und Dich zu neuen Gedanken anregt, dann freue ich mich über ein teilen oder liken von Dir.

Herzliche Grüsse
Céline